Über drei Dinge braucht man sie in meinem Alter keinen Illusionen hinzugeben: Klimawandel, die politische Landschaft und das Internet. Meine Generation hat alle drei krachend in den Sand gesetzt, jedes empörte Sich-Aufbegehrens gegen diese Behauptung hat die Qualität eines weinerlichen ich war es aber gar nicht des 5-jährigen, der mit der Nutella um den Mund komplett erfolglos das zerschlagene Glas hinter sich auf dem Boden zu verbergen sucht.
Kein Grund für euch Nachgeborene hämisch auf meiner Generation herum zu hacken, auch wenn wir zu Recht lächerlich viel Angriffsfläche bieten. Ihr seid nicht dabei, den von uns mit angerichteten Schaden zu beheben und uns vor seinen Folgen zu bewahren. Als Generation insgesamt zeigte genau die gleichen, aufs jetzt gerichteten Befriedigungstendenzen, wie alle Generationen zuvor. Aber ist es nicht schön, sich auf der richtigen Seite zu wähnen, der Erzählung zu lauschen von den Massen, die sich gegen die Lawine zu stemmen suchen, ums Lagerfeuer der gemeinsamen Bestimmung geschart. Singt weiter die Lieder von der Verheerung durch den alten weißen Mann, das macht weder Handys noch Instagram verschwinden.
Ich rede hier nicht von den ernsthaft Bewegten, den ernsthaft Tätigen, den ernsthaft Besorgten. Euer nichtenden wollendes Bemühen um die Rettung des verbliebenen führt Hoffnung auf einem Entscheid jedoch nicht komplett der augenblicklichen Lust willen verrottet (an anderer Stelle muss erörtert werden, wie wenig was die meisten Menschen antreibt die Bezeichnung Lust verdient – ein viel zu, mit Verlaub gesagt, lustvoller Begriff für das, was zur Chipstüte und Prosieben Nachmittags-Shows führt).
Eine Klarstellung: Wir retten nicht den Planeten, allenfalls uns selbst und was vom Tier- und Pflanzenreich noch übrig ist.
Wir retten allerdings nichts, wenn wir uns von der anderen Erzählung, die von der Eigenverantwortung, der Selbstverbesserung und der macht der Veränderung durch das tun des einzelnen einlullen lassen. Die Räder stehen still, egal ob dein starker Arm das will oder nicht. Du kannts noch so viel Fahrradfahren, vegan leben, sogar aufs Handy verzichten, das sind peanuts, der wahre Schaden wird in einem unvergleichlich größeren Maß von anderem erzeugt. So billig und simplizistisch das klingen mag, ich rede hier von Kapitalisten, von dem Kapitalismus, auch wenn beide in der Form in der sie ursprünglich postuliert wurden nicht mehr existieren. Aber die Systeme sind kapitalistisch, die Banken, die Energiekonzerne, das Internet und erschreckender Weise nahezu alles andere auch.
Ich rede nicht gerne von „Kapitalismus“ als dem Feind, den man bekämpfen kann, dessen fein aufgestellter Schlachtreihe man gegenübersteht und der nur niedergemacht werden muss. Das Problem ist die Mär von der Notwendigkeit „Profit zu machen“, vom immerwährenden Ausbeuten, nicht das brav hegelianisch konstruierte System. Die antreibende Kraft, das wahrhaft Kapitalistische, der gierige Holzwurm, der sich durch die Gehirne frisst, hat längst gewonnen und die ein Maß, das vor 50 Jahren nicht einmal der schlimmste Schwarzseher sich hätte ausmalen, der schwärzeste Reaktionär erträumen können. Nicht mehr wird das Verhalten den Anforderungen des kapitalistischen Systems angepasst, die Persönlichkeit wird auf kapitalistische Verwertbarkeit hin optimiert. Die Währung heißt Likes und „deine story“ ist, was man auf Instagram von dir sehen kann. Der komplette Triumph des Profitdenkens liegt im traurigen Umstand, dass dies auch für die Selbstwahrnehmung dieser Unterdrückten gilt.
Die Idee, man könne durch Verringerung des eigenen Carbon Footprint die Welt verbessern ist auch ein Produkt des kapitalistischen Denkens in Verhaltensverwertbarkeiten. Doch es gibt nichts Gutes, außer man tut es, hat Erich Kästner gesagt – er meinte damit eine Haltung, die eher einer gestürzten Person die Hand reicht, um ihr auf zu helfen, als sich an theoretischen Wertigkeiten der ebenso theoretischen Konsequenzen eigenen Verhaltens zu ergötzen. In dieser Beobachtung liegt keine Aufforderung, offensichtlich fragwürdiges Verhalten in Hinblick auf den Klimawandel nicht zu vermeiden zu suchen, es ist allerdings eine Aufforderung, die Pferde im Stall zulassen und ohne Illusionen dort hinzuschauen, wo der wirkliche Schaden angerichtet wird.
Dies ist auch keine Aufforderung, die RWE Konzernzentrale in Brand zu stecken, Gewalt erzeugt Gegengewalt und ist in offensiver Weise nie zu rechtfertigen. Die Pisser der RAF haben nichts erreicht, außer Unmenschlichkeit zu zeigen und den Staat massiv repressiver werden zu lassen (ein gewünschter „Neben“-effekt, man zwingt den Staat zur Repression, diese bringt das Volk zum Aufruhr und Revolution. In Deutschland. Yeah, right… Hätte man mal Adorno gelesen, den Vielzitierten, Vielerwähnten, welcher deutlich erkannt hat „dieses Volk ist nicht die revolutionäre Masse“.). Es ist eine Aufforderung Politik zu betreiben im Sinne Hannah Arends freien politischen Diskurses und dabei anzuerkennen, dass Politik, nicht erst bei der unzähligen Masse, welche die gesamte Menschheit darstellt, vom Kompromiss lebt (für den Satz „lieber gar nicht regieren, als falsch“ hätte man Christian Lindner, Finanzminister und würdige Ersatz-Föhnwelle für seinen Vorgänger zu 20 Jahren in den Salzminen, inklusive der Eisenkugel am Bein, verurteilen sollen wegen Zerstörung politische Kultur und versuchter Volksverwirrung).
Ja, wir Boomer hätten das alles schon kommen sehen können. Die Studie Global 2000, in Auftrag gegeben vom amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, sowie die vorausgehende Studie „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome, haben deutlich gezeigt, wohin der Wind weht. Nicht alles ist eingetreten, manches wurde übertroffen, aber eines ist klar, niemand kann sich raus reden „man hätte von nichts gewusst“. Doch ist des Menschen Befähigung zu kognitiver Dissonanz ohne Ende.
Aber wir waren doch auf der richtigen Seite, hört man’s heulen und weinen allenthalben. Wir wollten immer das richtige und zum Dank dafür haben wir jetzt die AFD und Donald Trump. Aye, there’s the rub. Man kann uns wirklich dafür danken, wir haben das auf dem Gewissen. Mit wir meine ich die, die sich in irgend einer Weise tendenziell links der Mitte verordnen. Es lohnt sich nicht über die Rechten zu reden, dort wohnt schon lange niemand mehr im Oberstübchen.
Wir haben dem Wiegenlied der politischen Selbstgerechtigkeit gelauscht, aktiv billigend oder auch nur irgendwie zustimmend, denn man wusste, irgendwie, die Dummen sind die Rechten und die Menschen, die Nachmittag-Talkshows schauen, kann und braucht man nicht ernstzunehmen. Mit kalter Arroganz unterstellt man diesen Massen von Menschen, die hart arbeiten und ihre Steuern zahlen, die eigentlich nur Ruhe und einen jährlichen Urlaub auf Mallorca oder am Ostseestrand ersehnen, sie seien nur interessiert an Fressen Ficken Fernsehen und damit nicht ernstzunehmen. Kultur und Bildung war da wo man selbst ist. Der Rest war und ist mentales Fly-Over-Country, ohne Bedeutung, nur zu verwalten. Was für eine bodenlose Arroganz, gezeigt von Leuten, die vorgeben für den kleinen Mann zu sprechen und den insgeheim verachten für das, was er ist.
Aber hätte man wenigstens verwaltet, hätte sich dieser kleine Mann nicht ignoriert gefühlt, ein gefährlicher Zustand, wie die Geschichte zeigt. Was ignoriert oder von oben weg definiert wird hat die Tendenz, den Zuständigen heftig in den Arsch zu beissen. Doch für eine ernst nehmende Verwaltung war sich die linke Welt zu gut. Die atavistische Idee aus den Siebzigern, dass der Kommunismus doch irgendwie über den Kapitalismus final siegen wird, hat als irgend ein Derivat weiterhin die Köpfe verseucht. Ignorieren ist auch eine Form von Problemlösung, aber schon Lion Feuchttwanger hat in den Gebrüdern Oppermann davon gesprochen, wie sehr die Revolution des Kleinbürgers alles andere in den Schatten stellt was sich je als Revolution gebärdet hat.
Nicht also, dass man hätte aus der Geschichte lernen können, nein. Es ist zu schön, sich in der Sonne der eigenen Größe zu wiegen.
Noch einmal: Ich hacke auf der Linken herum, aus tiefer Enttäuschung, und weil rechts der Mitte, außer einem gewissen fiskalischen Pragmatismus, nichts zu finden wäre, was es sich lohnte, in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Adorno hat bereits diesen Scheinkonservativismus entlarvt, der von teilweise so falschen narrativen lebt, es schmerzt nein die Zähne, und der nur kennt immer auf die Bremse zu treten – außer vielleicht in bestimmten technologischen Bereichen was, Überraschung!, meist große Summen Geldes in bestimmte Taschen spült.
An der linken hat sich nicht viel geändert. Die gleiche Arroganz, das gleiche Von-Sich-Selbst-Überzeugt-Sein, die gleiche Verfremdung von der Welt. Aus „an deutschem Wesen soll die Welt genesen“ ist „an meinem Wesen soll die Welt genesen“ geworden – ein bisschen ichbezogener, ein bisschen autistischer, und kein bisschen besser.
Bleibt noch das Internet. Was, fragt sich nun ein Mensch meiner Generation, sollen wir jetzt da auch noch verbockt haben, wir können ja nicht nur mit Computern ? Dummheit schützt aber immer noch nicht vor Strafe und es waren ohne Zweifel wir, die sie zugelassen haben, die Schweinekapitalisten, unter unserem überhaupt nicht wachsamen Auge konnten sie groß werden, die Zuckerbergs, die Jobs, die Bezos. Wir haben es zugelassen dass eine der wundervollsten Orte, den die Menschheit jemals erschaffen hat, verseucht wurde von der Profitgier. Wir haben gegoogelt als gäbe es kein Morgen (und es gab so schöne Suchmaschinen außer Google). Wir haben brav bei Amazon bestellt und fleißig iPhones gekauft. Durch unsere Unachtsamkeit haben wir den Moment verpasst, an dem zumindest die Chance bestanden hat, durch eine geringe Regulation, dieses Internet voll des wunderbaren Kommunizieren zwischen Menschen unterschiedlichster Herkunft und Denkweisen, dieses Internet der Anarchie, des freien Austauschs, der ungehemmten Sexualität jeder Schattierung. Schön was’s gewesen, jetzt können wir uns nur noch Mike Montiero anzuschließen :https://www.buzzfeednews.com/article/mikemonteiro/we-built-a-broken-internet-now-we-need-to-burn-it
Was bleibt? ein Meme aus der Zeit bevor es das, was man heute darunter versteht überhaupt gab, diese andere Welt, die Achtzigerjahre, als Memes nichts waren als Aufdrucke von Postkarten: Das Bild eines trotzigen, kleinen Jungen neben dem steht:
Und du fragst mich: „Was kann ich tun?“
Ich sage dir: „Lebe wild und gefährlich, Arthur!“
Doch davon ein andermal.
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